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Rede und Antwort standen: Jochen Hartmann, RA und Partner Anwaltskanzlei Dr. Flügler & Partner, Freiburg und Christian Sallach, Versicherungsfachmann VPV Versicherungen, Waldkirch

Frage Redaktion: Für viele NET-Betroffene stellt sich die Frage, wo festgelegt ist, welche Auswirkungen ihre Erkrankung bzw. eine geminderte Leistungsfähigkeit auf ihr Arbeitsverhältnis haben.

Antwort J. Hartmann: Die unmittelbaren Auswirkungen krankheitsbedingter Fehlzeiten auf das Arbeitsverhältnis selbst regelt das Arbeitsrecht. Daran anknüpfend definiert dann das Sozialversicherungsrecht Leistungen wie Krankengeld, berufliche Wiedereingliederung, Rehabilitation und ggf. Erwerbsunfähigkeitsrenten.

Frage Redaktion: Nun versuchen ja Gesetzgebung und Rechtsprechung, sowohl die Interessen von Arbeitnehmern als auch die der Arbeitgeber in Einklang zu bringen. Weiß ein „Normalbürger“, was dabei alles zu beachten ist?

Antwort J. Hartmann: Grundsätzlich wichtig zu wissen ist, dass jeder Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zu sechs Wochen hat, d. h., ihm wird bis zu sechs Wochen sein volles Gehalt weitergezahlt. Weiterhin wichtig ist, dass im Krankheitsfall das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Also auch über den sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum hinaus. Sprich: Arbeitnehmer müssen ihrem Arbeitgeber daher auch ab der siebten Woche eine Arbeitsunfähigkeit weiterhin anzeigen und nachweisen. Achten Sie also darauf, Ihren Arbeitgeber weiterhin zu informieren und Ihre Krankmeldung einzureichen.

Frage Redaktion: Hat diese Sechs-Wochen-Frist noch eine weitere Bedeutung?!

Antwort J. Hartmann: Ja, bei allen Arbeitnehmern, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krankheitsbedingt fehlen, hat der Arbeitgeber das sogenannte BEM, das Betriebliche Eingliederungsmanagement, einzuleiten. Das Verfahren ist allerdings nur teilweise gesetzlich geregelt. Das heißt, im Grundsatz obliegt die Durchführung dem Arbeitgeber und – wichtig – sie setzt die Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers voraus. Mit dabei sind dann auch die betrieblichen Interessenvertretungen wie Betriebsrat und/oder die Schwerbehindertenvertretung sowie – soweit erforderlich – der Werks- oder Betriebsarzt.

Frage Redaktion: Worauf kommt es dabei an?

Antwort J. Hartmann: Die wichtigsten Ziele des BEM sind, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und den Arbeitsplatz zu erhalten. Außerdem soll gemeinsam herausgefunden werden, mit welchen Leistungen zur Teilhabe am Berufsleben und Hilfen im Arbeitsleben im Einzelfall erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers kann so eine gemeinsame Lösung durch Anpassung des Arbeitsplatzes gefunden werden.

Frage Redaktion: Neben den rechtlichen Aspekten stellt sich den Betroffenen natürlich auch die Frage, was durch ihre Krankenversicherung – in erster Linie finanziell – abgesichert ist.

Antwort C. Sallach: Zunächst einmal gilt für gesetzlich Krankenversicherte, dass ihre Krankenkasse nach dem im Sozialgesetz festgeschriebenen Sachleistungsprinzip verpflichtet ist, einzugreifen – sowohl für Pflicht- als auch für freiwillig Versicherte. Das bedeutet: Jeder gesetzlich Versicherte hat einen Anspruch auf die Leistungen seiner Krankenkasse. Welche das sind, kann im Sozialgesetzbuch nachgelesen oder bei Ihrem Versicherungsfachmann nachgefragt werden. Alle Leistungen hier aufzuführen, würde wohl den Rahmen sprengen.

Frage Redaktion: Wer informiert die Krankenkasse? In der Regel ist es doch so, dass die Krankenkasse durch den behandelnden Arzt bzw. das Krankenhaus über das Krankenbild und einen notwendigen Arbeitsausfall informiert wird.

Antwort C. Sallach: Das ist richtig. Dennoch kann ich jedem Betroffenen, bzw. ggf. auch den Familienangehörigen, nur raten, sich unverzüglich mit dem gesetzlichen Versicherungsträger in Verbindung zu setzen, um von vornherein alle Möglichkeiten abzuklären.

Frage Redaktion: Und wie sieht es bei privat Versicherten aus?

Antwort C. Sallach: Gleiches gilt natürlich auch für Betroffene, die in eine private Krankenversicherung ihre Beiträge einzahlen, oder diejenigen, die darüber hinaus beispielsweise eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen haben. Was im Einzelnen durch diese Versicherungen abgedeckt ist, lässt sich leider nicht pauschalisieren. Da die sogenannten Bedingungswerke, die meist individuell abgeschlossen werden, unterschiedliche Leistungskriterien erfüllen, ist es hierbei noch wichtiger, sich unmittelbar an die Versicherung zu wenden.

Frage Redaktion: Zurück ins Berufsleben! Gehen wir vom Idealfall aus: Ein NET-Patient ist zu 100 % genesen. Doch mit der Rückkehr ins Arbeitsleben hat er dennoch lediglich einen Anspruch auf eine arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung, jedoch nicht unbedingt exakt an seinem alten Arbeitsplatz.

Antworten J. Hartmann: Das stimmt. Bei längerer Fehlzeit wird ein Arbeitgeber den bisherigen Arbeitsplatz zwischenzeitlich oftmals anderweitig besetzen. Ist abzusehen, dass die Arbeitsfähigkeit wieder vollständig hergestellt sein wird, empfehle ich Arbeitnehmern, die Modalitäten der Rückkehr in den Betrieb so früh wie möglich mit dem Arbeitgeber abzustimmen – soweit dies nicht schon im Rahmen des bereits erwähnten BEM-Verfahrens erfolgt ist. Das gilt im Übrigen für alle Betroffenen, auch für diejenigen, die beruflich nur noch eingeschränkt tätig sein können. Gesetz und Rechtsprechung sehen eine Reihe von Rechtsansprüchen und Gestaltungsmöglichkeiten vor. Ich erwähne hier speziell den Anspruch auf Teilzeitarbeit. Ein Arbeitsplatzwechsel, also eine Änderung der arbeitsvertraglichen Tätigkeit, ist vorrangig einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu vereinbaren. Dazu zählen auch berufliche Weiterbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen, sie setzen die Zustimmung aller Beteiligten voraus – und hierbei sind oftmals die Förderleistungen der Sozialversicherungsträger entscheidend.

Antwort C. Sallach: Aus versicherungsrelevanter Sicht, das gilt in erster Linie für private Versicherungen, übernimmt dabei auch das sogenannte Case Management eine wichtige Aufgabe. Zusammengefasst ist dies ein Unterstützungsverfahren, das betroffene Patienten nicht nur nach ihrer Krankheit im Sinne einer Reha weiter behandelt und ggf. pflegt, sondern sie auch versorgt – beispielsweise im Arbeitsumfeld durch entsprechende Methoden bei der Wiedereingliederung, durch Hilfestellung bei Umschulungen oder Neuorientierungen. Ziel des Case Managements ist es, die Selbstheilungskräfte und Selbsthilfe zu fördern und zu stärken, sodass Betroffene wieder zu vollwertigen Menschen im beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Umfeld werden.

Frage Redaktion: In jeder Hinsicht ein komplexes Feld?!

Antwort J. Hartmann: Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Wir raten jedem Betroffenen, wirklich so früh und intensiv wie möglich auch mit seinem Arbeitgeber zu reden. Und ohne jetzt Werbung für Anwaltskanzleien machen zu wollen: Dabei empfiehlt es sich, fachkundigen Rechtsrat auf den Gebieten Arbeits- und Sozialversicherungsrecht einzuholen. Und, ich möchte das jetzt nicht dramatisieren, doch im Einzelfall kann sich ein Beratungsbedarf auch wegen einer drohenden Kündigung ergeben – oder um es positiv zu formulieren: über den gesetzlichen Kündigungsschutz. Liegt eine Schwerbehinderung vor (Grad der Behinderung (GdB) von 50 und mehr), ändert sich die Rechtslage. Liegt dagegen „nur“ eine Behinderung vor (GdB unter 50), kann u. U. ein Gleichstellungsantrag gestellt werden. Der Gleichstellungsantrag ermöglicht Ihnen, ab einem GdB von 30 die gleichen Rechte zu bekommen wie ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad von 50 oder mehr.

Frage Redaktion: Sie hatten es bereits erwähnt – an dieser Stelle sollten Sie näher auf das Sozialversicherungsrecht eingehen…

Antwort J. Hartmann: Gerne: In den Sozialgesetzbüchern sind unterschiedliche Leistungen definiert. So ist im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung beispielsweise die stufenweise Wiedereingliederung geregelt – dies betrifft alle erkrankten Arbeitnehmer bzw. Versicherten, die arbeitsunfähig sind. Und für Behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen kann eine stufenweise Wiedereingliederung als interdisziplinäre Leistung der medizinischen Rehabilitation erbracht werden. Leistungen zur beruflichen Rehabilitation, gesetzlich als „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ definiert, folgen dem Prinzip „Rehabilitation vor Rente“. Sie können auf Grundlage des Sozialgesetzbuchs IX erbracht werden – sei es durch Reha-Maßnahmen für die Betroffenen, z. B. Umschulung oder Weiterbildungen, oder durch Leistungen an den Arbeitgeber, z. B. Eingliederungs- und Ausbildungszuschüsse.

Frage Redaktion: Abschließende Frage, Herr Hartmann: Was geschieht bei Langzeiterkrankung mit den Urlaubsansprüchen?

Antwort J. Hartmann: Gut, dass Sie das ansprechen. Nach neuester Rechtsprechung verfallen Urlaubstage bei Langzeiterkrankung weder am Jahresende noch zum 31. März des Folgejahres. Auch hier gilt: Bei Wiedereintritt bzw. Rückkehr an den Arbeitsplatz das offene Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen. In einem Arbeitsverhältnis kommt es immer auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber an. Und das betrifft doch jeden von uns.

Frage Redaktion: Und an Sie, Herr Sallach: Aus Sicht eines Versicherungsspezialisten ist es schwierig, eine umfassend gültige Aussage zum Versicherungsschutz zu machen. Was raten Sie allgemein NET-Patienten?

Antwort C. Sallach: Sie haben Recht, die Versicherungsleistungen sind ein komplexes Thema, da sie meist eine individuelle Auswirkung zur Folge haben. Generell möchte auch ich nochmals unterstreichen: Betroffene sollten sich unmittelbar und direkt an die Beratungsstellen der zuständigen Sozialleistungsträger wenden. Die Krankenkasse oder -versicherung, der Rentenversicherungsträger, die Agentur für Arbeit, das Sozial- und/oder Versorgungsamt sowie auch die Behörden in der Gemeinde sind gesetzlich verpflichtet, Auskünfte zu geben sowie notwendige Anträge anzunehmen und zu bearbeiten bzw. ggf. weiterzuleiten.

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